Verantwortliche Person: Eva Gelinsky, semnar
Der Anbau von Körnerleguminosen ist in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen. Traditionell waren Kulturen wie Ackerbohnen, Erbsen, Linsen oder Lupinen, auch aufgrund ihrer bodenverbessernden Wirkung, ein wichtiger Teil der Fruchtfolge. In diesem Teilprojekt soll mit Hilfe eines wissenshistorischen Ansatzes untersucht werden, welche Entwicklungen zu ihrem weitgehenden Verschwinden beigetragen haben.
Seit ca. Mitte des 19. Jahrhunderts wird versucht, die als «rückständig» geltende Landwirtschaft in eine «moderne» «Industrie» zu verwandeln. So proklamiert z. B. ein als Landwirtschaftslehrer tätiger Chemiker 1867: «Der Boden soll für uns bloss die Maschine sein, welche den Rohstoff, Dünger geheissen, verarbeitet.» Bis in die 1950er Jahre ist dieser Modernisierungsprozess jedoch immer wieder mit Schwierigkeiten verbunden: Die Versuche, die landwirtschaftliche Produktion genauso wie die Herstellung von Gütern in der Industrie zu organisieren, brechen sich fortwährend an deren «raum-zeitlichen Eigenheiten». Die in der Landwirtschaft genutzten Tiere, Pflanzen und der Boden weisen Eigenschaften auf, die sich nicht bruchlos in die vom Verbrauch fossiler Ressourcen geprägten Logik industriekapitalistischer Verwertungen einfügen lassen. Dies ändert sich grundlegend, als auch die landwirtschaftliche Produktion am wachsenden Verbrauch fossiler Energie zu partizipieren beginnt. Der Einsatz synthetischer Hilfsstoffe im Pflanzenbau (mineralische Stickstoffdünger, Pestizide etc.), die Zunahme der «bodenunabhängigen» Tierproduktion durch den Import und einzelbetrieblichen Zukauf von Futtermitteln (Soja), die Motorisierung vieler Arbeitsschritte – all diese Prozesse basieren auf der massiven Steigerung des Verbrauchs fossiler Energieträger und verändern damit auch grundlegend die Bedingungen, unter welchen über die Landwirtschaft und ihre Funktionen in der modernen Industriegesellschaft nachgedacht wird.
Am Beispiel der Leguminosen lässt sich dieser widersprüchlich ablaufende Prozess der Agrarmodernisierung nachvollziehen. So sind sie zunächst fester Bestandteil der bis weit ins 20. Jahrhundert praktizierten agrarischen Produktions- und Wissenssysteme: nicht nur in der menschlichen Ernährung haben sie ihren Platz, sondern sie dienen auch als wertvolles Futter für die Arbeitstiere. Dazu trägt ihr regelmässiger Anbau zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit bei. Im «fossilen Zeitalter», das in der Landwirtschaft ab den 1950er Jahren beginnt, verlieren sie ihre Funktion und Bedeutung, weil Arbeitstiere durch Maschinen ersetzt werden, die «bodenunabhängige» Tierhaltung ihre Futtermittel im grossen Masstab importiert, immer mehr Fleisch (statt Erbsen, Linsen etc.) konsumiert werden, sich hohe Erträge durch synthetische Stickstoffdünger erzielen lassen und die auf Wachstum und Exportorientierung getrimmte Agrarproduktion nach «vereinfachten» Fruchtfolgen verlangt.
Da dieser Prozess der Agrarmodernisierung mit grundlegenden Änderungen der epistemischen Konzeptualisierungen des Agrarischen verbunden ist – das Denken über bzw. die Wahrnehmung von Landwirtschaft verändern sich grundlegend –, braucht es für eine tatsächliche Agrarwende auch Veränderungen im Bereich der Wissensformen und Erkenntnispraktiken (in Agrarwissenschaft, -politik und -ökonomie und daraus folgend auch in der Ausbildung und der Praxis). Erst dann kann sich der Zustand der Böden – auch langfristig – signifikant verbessern und die Leguminosen finden wieder ihren angemessenen Platz in der Agrarproduktion